Aus einer modernen Verwaltung wird der Einsatz von KI nicht wegzudenken sein. Er verspricht effizientere Prozesse und eine verbesserte Nutzererfahrung. Die AKDB arbeitet an zahlreichen Anwendungen in Fachverfahren. Wir haben Sebastian Koch, UX & Research Consultant für KI-Fachverfahren, dazu befragt und spannende Einblicke bekommen.

„Der Mensch kommuniziert, die KI steuert, koordiniert und automatisiert Produktionen in den Fachverfahren – effizient, bürgerfreundlich und zukunftsweisend.“
Was verspricht KI in Fachverfahren, Herr Koch?
Künstliche Intelligenz bedeutet, dass Systeme Aufgaben übernehmen, die früher Menschen ausgeführt haben. KI erkennt Inhalte in Dokumenten, extrahiert Informationen und füllt Formulare automatisch aus – egal ob aus PDFs, E-Mails oder eingescannten Nachweisen. Auch komplexere Prüfungen sind möglich: Eine KI kann erkennen, ob Angaben vollständig und plausibel sind, ob Fristen eingehalten wurden oder welche Nachweise fehlen.
Statt nur zu automatisieren, wird die KI dabei ständig weiterlernen: Sie erkennt Muster in Anträgen, schlägt nächste Schritte vor oder übernimmt einfache Entscheidungen, wenn sie sicher genug ist. In Zukunft werden solche Systeme proaktiv arbeiten: Sie erkennen, wenn Handlungsbedarf entsteht, bereiten Verwaltungsschritte im Hintergrund vor – und geben den Sachbearbeitenden Zeit für die Fälle, in denen menschliches Fingerspitzengefühl gefragt ist. Dann gibt es aber auch eine Vielzahl von Vorgängen, die keine komplexen Entscheidungen erfordern. Ist der Antrag vollständig und liegen sämtliche Nachweise vor, kann ein Fahrzeug zugelassen werden. Am Ende muss der Sachbearbeitende nur noch bestätigen, was vom Fachverfahren oder der KI vorher überprüft wurde.
Wie groß schätzen Sie die Zeit- und Aufwandseinsparung?
KI in Fachverfahren bringt Verwaltungsteams messbare Effizienzgewinne. Ein simples Beispiel: Eine KI liest Rechnungen oder Bescheide aus, überträgt Daten automatisch ins System, prüft auf Vollständigkeit und schlägt dem Sachbearbeiter nur abweichende Fälle zur Prüfung vor. Das spart manuelles Eintippen, Suchaufwand und Rechenarbeit. Anfangs sparen Sachbearbeiter je nach Fachbereich ein bis zwei Stunden pro Tag. Wir konnten zeigen, dass durch KI-basierte Ende-zu-Ende-Prozessoptimierung beim Verbuchen von Umsätzen in der Finanz-Software OK.FINN die Sachbearbeiter bereits bis zu 50 Prozent täglich entlastet wurden. Das ist eine Möglichkeit, die Verwaltung als modernen und technologieoffenen Arbeitsplatz zu stärken und damit langfristig attraktiver für neue Talente zu machen. So wächst die Bereitschaft, sich für den öffentlichen Dienst zu entscheiden.
Wie kann KI den Verwaltungsaufwand im Einwohnerwesen reduzieren?
Im Einwohnermeldeamt wird bei jedem Umzug eine „Wohnungsgeber-Bestätigung“ benötigt: Das Einsparpotenzial ist hoch, da mit KI-Unterstützung die Felder der Bescheinigung ausgelesen werden und nicht mehr manuell wie bisher abgetippt werden müssen. Das entlastet die Sachbearbeitung spürbar. Im Bereich der Wahlbehörde kann KI bei der Prüfung von Wahlvorschlägen und Unterstützungsunterschriften helfen – etwa durch automatisierte Erkennung von Unvollständigkeiten oder formalen Fehlern. Das hilft, Prozesse unter Zeitdruck zu beschleunigen, und entlastet Mitarbeitende von Routinetätigkeiten, ohne dass sie die rechtliche Kontrolle aus der Hand geben.
Und im Finanz- oder dem Sozialwesen? Wie könnte KI dort helfen?
Aktuell entwickeln wir einen KI-basierten Ende-zu-Ende-Anwendungsfall im neuen OK.FINN-Modul „Veranlagung“. Es handelt sich um den Fall „Gewerbe- und Grundsteuer entrichten“.
Wir konnten beweisen: Sachbearbeitende können dank KI ihre Kernaufgaben mindestens doppelt so schnell erledigen. Das sieht so aus: Im Finanzwesen kommunizieren Unternehmer bzw. Bürger, Finanzamt und Kommune oft als Dreieck. Dabei liegen Daten meist doppelt vor – beim Finanzamt und bei der Kommune – und müssen abgeglichen werden. KI kann hier durch Mustererkennung unterstützen. Unter Stress passieren oft Fehler bei der Datenübertragung, KI hingegen arbeitet zuverlässig. Kritische Entscheidungen bleiben jedoch in der Kontrolle von Sachbearbeitern, die KI-Ergebnisse prüfen und freigeben.
Allein der ämterübergreifende, KI-gestützte Abgleich zwischen Datensätzen aus OK.GEWERBE und ELSTER kann einen Sachbearbeiter im Finanzwesen um 30 Prozent täglich entlasten. Im Sozialwesen wiederum kann ein Sachbearbeiter dank KI relevante Fallinformationen und frühere Entscheidungen schnell abrufen und visualisieren. Das unterstützt eine fundierte und zügige Sachentscheidung.
Gibt es bei der Entwicklung und Nutzung von KI-gestützten Fachverfahren datenschutzrechtliche Faktoren zu beachten?
Ja, bei der Entwicklung und Nutzung von KI-gestützten Fachverfahren ist insbesondere der EU AI Act einzuhalten. Datenschutz-, Rechts- sowie Ethikexperten sollten von Anfang an in den Entwicklungsprozess einbezogen werden. Transparenz, Erklärbarkeit, Sicherheit, Robustheit und Verantwortlichkeit sind dabei wesentliche Säulen, um vertrauenswürdige und rechtssichere Systeme zu schaffen. Ziel muss sein, KI-Governance systemisch aufzubauen und konsequent umzusetzen – damit KI nicht nur technisch funktioniert, sondern auch rechtlich und ethisch verantwortbar bleibt.
Woran arbeitet die AKDB gerade, was KI in Fachverfahren betrifft, und wann werden voraussichtlich erste marktreife Produkte zur Verfügung stehen?
Acht Anwendungsfälle aus den Produktgruppen OK.PERS+, OK.EWO, OK.JUS und OK.FINN werden aktuell auf ihre Machbarkeit hin evaluiert. Ziel ist es, bis zum Ende des Jahres erste Anwendungsfälle zur Verfügung zu haben.
Werden Masken-Oberflächen irgendwann in Fachverfahren dank KI verschwinden?
Stellen Sie sich vor, Sie ziehen um und melden Ihre neue Adresse bei der Stadt: Ein KI-Agent nimmt Ihr Anliegen auf, ein zweiter prüft nach Ihrer Zustimmung die Daten beim Einwohnermeldeamt, ein dritter informiert die Wohngeldbehörde – die Agenten unterhalten sich selbstständig und übernehmen das Fachverfahren hinter den Kulissen. Die klassische Maske verschwindet nicht komplett. Der Mensch kommuniziert, die KI steuert, koordiniert und automatisiert Produktionen in den Fachverfahren – effizient, bürgerfreundlich und zukunftsweisend.
Die Verwaltung bleibt zentral – als menschliche Schnittstelle für komplexe Lebenslagen, etwa bei sensiblen Sozialleistungen. KI entlastet – damit echte Zeit für guten Service bleibt. Klingt futuristisch – aber das dachten wir ja beim Internet damals auch (lacht).
